Achtung Tierheilpraktikerinnen!

Von Ralph Rückert, Tierarzt

In den letzten Artikeln habe ich mich mit pseudomedizinischen Auswüchsen IN DER TIERMEDIZIN beschäftigt. Obwohl sie damit überhaupt nicht angesprochen waren, haben sich dennoch sehr viele Tierheilpraktikerinnen getriggert gefühlt und entsprechend geäußert. Deswegen und auch aufgrund mehrfacher Bitten von Leser:innen hier jetzt also zum Abschluss der Serie noch ein Text zu Laienbehandlerinnen in der diffusen und gesetzlosen Peripherie der Tiermedizin.

Gleich zu Anfang drei Klarstellungen:

Erstens ist die Überschrift des Artikels zwar nicht direkt geklaut, aber doch bewusst angelehnt an den Titel des Buches „Vorsicht Tierheilpraktiker!“ des Wissenschaftsjournalisten Colin Goldner, für das ich auch fast 20 Jahre nach seinem Erscheinen Werbung machen möchte. Für alle, die sich eingehender über die pseudotiermedizinische Szene informieren möchten, ist das Buch nach wie vor eine klare Empfehlung.

Zweitens: Ich verwende bezüglich der „Berufsbezeichnung“ durchgehend die weibliche Form, einfach deshalb, weil es die Realität abbildet.

Drittens: Wenn sich Tierärztinnen oder Tierärzte in irgendeiner Form kritisch oder ablehnend gegenüber Tierheilpraktikerinnen äußern, wird gern und reflexartig Futterneid unterstellt. Dieser Vorwurf hat nach den vorliegenden wirtschaftlichen Daten keine wirkliche Grundlage. Es ist natürlich sehr schwierig, belastbare Zahlen für eine Branche zu ermitteln, die von staatlicher Seite überhaupt nicht erfasst oder reguliert wird. Trotzdem kann man als Faustzahl davon ausgehen, dass es knapp halb so viele selbständig arbeitende Tierheilpraktikerinnen gibt wie Tierarztpraxen und Tierkliniken, diese nicht gerade wenigen THPs aber maximal fünf Prozent des gesamten Tiergesundheits-Umsatzes generieren, was in meinen Augen keinen Anlass für irgendein wirtschaftliches Konkurrenzdenken darstellt.

Zu Anfang (und nicht zum ersten Mal) eine kurze Darstellung der rechtlichen Situation: Die Berufsbezeichnung „Tierheilpraktikerin“ ist weder staatlich geschützt noch irgendwie reguliert. Es interessiert den Staat nicht, ob sich jemand „Tierheilpraktikerin“ nennt. Dementsprechend können alle, die wollen, sich von heute auf morgen und ohne jeglichen Ausbildungsnachweis zu „Tierheilpraktikerinnen“ erklären, ein entsprechendes Schild an die Tür schrauben, eine Homepage online stellen und loslegen.

Logischerweise sind mit dieser in den Augen des Staates gar nicht existierenden Berufsbezeichnung keinerlei Rechte oder Privilegien verbunden, wie sie Tierärztinnen oder Tierärzte mit ihrer Approbation verliehen bekommen. Tierheilpraktikerinnen dürfen natürlich keine rezeptpflichtigen Medikamente oder Betäubungsmittel anwenden bzw. verschreiben, sie dürfen nicht röntgen, impfen oder operieren. Sie dürfen also mit Tieren genau nur das anstellen, was jede und jeder mit Tieren im Rahmen der tierschutzrechtlichen Regelungen anstellen darf, weshalb ich ja auch häufig den eigentlich zutreffenderen Begriff „Laienbehandlerinnen“ verwende.

Man kann natürlich, wenn man sich die Mühe machen und eine in der Regel nicht unbeträchtliche Summe (häufig im mittleren vierstelligen Bereich) aufbringen will, einen der vielen angebotenen Kurse belegen. Auch diese sind logischerweise in Bezug auf Qualität, Dauer und Inhalte in keinster Weise staatlich reglementiert, sagen dementsprechend auch rein gar nichts aus. Als Kundin oder Kunde einer Tierheilpraktikerin hat man absolut null Möglichkeiten, aus irgendwelchen „Abschlüssen“ irgendeine Qualifikation abzuleiten. Bei Human-Heilpraktikerinnen prüft der Staat immerhin in einer Art Minimalverfahren ab, ob die Kandidatinnen keine Gefahr für die allgemeine Gesundheit darstellen und wenigstens in der Lage sind, zum Beispiel meldepflichtige Erkrankungen zu erkennen. Obwohl es auch in der Tiermedizin meldepflichtige Krankheiten gibt oder auch welche, von denen Laien tunlichst die Finger lassen sollten, sieht der Gesetzgeber hier trotzdem keinen Handlungsbedarf.

Ein Zitat aus dem oben erwähnten Buch von Colin Goldner als Fazit:

„Gleichwohl der sogenannte Tierheilpraktiker veterinärmedizinisch zu nichts befugt und nur zu wenig befähigt ist – die entsprechenden Ausbildungsgänge an Tierheilpraktikerschulen vermitteln nicht mal die elementarsten Grundlagen zu einer auch nur ansatzweise ernstzunehmenden Heilbehandlung gleich welchen Tieres – darf er sich doch nach Belieben niederlassen und nach Gutdünken ordinieren. (…) Niemand stellt die Frage nach fachlicher Qualifikation, niemand überprüft die Praxisgepflogenheiten und niemand kann den Tierheilpraktiker für seine Ratschläge und Maßnahmen zur Rechenschaft ziehen.“

Meine persönliche Einstellung zu Tierheilpraktikerinnen hat sich über die vielen Jahre meiner Berufslaufbahn von strikter Ablehnung zu resignierter Gleichgültigkeit entwickelt, was aber nicht mit irgendeiner Akzeptanz verwechselt werden darf. Natürlich fände ich es gut und richtig, wenn wir die gleiche Gesetzeslage wie Österreich hätten, wo es ein auf Tierärztinnen und Tierärzte beschränktes Behandlungsprivileg für Tiere gibt. Ich habe aber akzeptiert, dass es dazu hier in Deutschland wohl nie kommen wird. Und wenn man sich als Tierarzt mal ganz ehrlich macht, so „behandeln“ Tierheilpraktikerinnen die Haustiere genau der Leute, vor denen es einem als Tierarzt sowieso ein Stück weit graust, also von denen, die darauf bestehen, dass ihr Tier mit unwirksamem Humbug traktiert wird, weil es ihrem eigenen Weltbild entspricht. Damit entlasten Tierheilpraktikerinnen das sowieso überlastete System der Tiermedizin und ermöglichen uns die Konzentration auf Fälle, die wirklich dringend effektive Hilfe benötigen.

Ich kann aber auch nachvollziehen, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen meine Gleichgültigkeit aus sehr guten Gründen nicht teilen wollen. Man kann selbstverständlich ganz gravierende tierschutzrechtliche Bedenken gegen das völlig unregulierte Treiben von Tierheilpraktikerinnen haben. Ich zitiere wieder Colin Goldner:

„Dass sie (Anm.: die Tierheilpraktikerinnen) sich dennoch und völlig ungeniert auf dem alternativen Heilermarkt breitmachen können, liegt an der insoweit völlig unzureichenden Rechtslage. Konsequent umgesetzter Tierschutz (…) müsste längst auch Schutz vor unzureichend qualifizierten Tierheilpraktikern bedeuten, die ohne die geringste Ahnung von seriöser Diagnosestellung, ohne Ahnung von Indikation und ohne Ahnung von klinisch wirksamen Heil- und Hilfsmaßnahmen mit irgendwelchen Pseudodiagnostik- und Pseudoheilverfahren herumdilettieren, die dem behandelten Tier im besten Fall nicht schaden, die aber eine Gesundheitsgefährdung mittelbar dadurch zur Folge haben können, dass das rechtzeitige Erkennen eines ernsten Leidens beziehungsweise der rechtzeitige Einsatz einer sinnvollen und verfügbaren Therapie womöglich verzögert wird, weil der Tierheilpraktiker über die hierzu erforderliche veterinärmedizinische Fachkenntnis nicht verfügt. Eine mittelbare Gefahr dieser Art besteht dabei besonders dann, wenn die tierheilpraktische Behandlung – vom Tierheilpraktiker selbst und/oder von dem Besitzer beziehungsweise Halter des jeweiligen Tieres – als Ersatz für eine tierärztliche Behandlung angesehen wird.“

Dass die von Goldner im letzten Satz angesprochene Gefahr keineswegs an den Haaren herbeigezogen ist, bestätigt sich schon allein dadurch, dass man in Social-Media-Tierhaltergruppen in den Kommentaren unter Symptomschilderungen sehr häufig den Ratschlag lesen kann: „Sofort zum Tierarzt oder zur Tierheilpraktikerin!“. Verblüffend viele Tierbesitzer:innen scheinen tatsächlich die Behandlung durch Tiermediziner:innen mit der durch eine Tierheilpraktikerin gleichzusetzen, was natürlich so weit neben der Spur ist, dass die Realität buchstäblich hinter dem Horizont verschwindet. Eine Tierheilpraktikerin hat im schlechtesten Fall null, im besten Fall ein paar Hundert Stunden (Fern-)Unterricht mit mehr als zweifelhaften Inhalten absolviert, eine Tierärztin hat dagegen über den Daumen gepeilt mehr als 10.000 Stunden Studium und Praktika plus drei Staatsexamen hinter sich gebracht, bevor sie ihre Approbation verliehen bekommt.

Auch das ganz reale Leben als Tierarzt bestätigt Goldners tierschutzrechtliche Bedenken. Jede Kollegin, jeder Kollege kann sofort mehrere Geschichten von Tieren aus dem Ärmel schütteln, deren Erkrankungen durch ewige „Vorbehandlungen“ von Tierheilpraktikerinnen verschleppt und verschlimmert worden sind, oft über den Punkt hinaus, wo man noch realistische Chancen auf eine erfolgreiche und medizinisch korrekte Therapie gehabt hätte. Würde der Gesetzgeber seine Verpflichtung, sich um alle Aspekte des Tierschutzes zu bemühen, wirklich ernst nehmen, so müsste er nach dem Beispiel Österreichs diesem Unwesen eigentlich ein Ende setzen. Da es dieser Staat aber nicht mal schafft, die von Humanheilpraktiker:innen ausgehende Gefahr anzuerkennen und sich endlich von einem Heilpraktikergesetz zu trennen, das absurderweise in seinen wesentlichen Teilen aus dem Dritten Reich stammt, ist mir sonnenklar, dass wir mit der Existenz von Tierheilpraktikerinnen wohl weiter werden leben müssen.

Meinen Kolleginnen und Kollegen rate ich deshalb zu meiner über viele Jahre mühsam gewonnenen resignierten Gleichgültigkeit, weil das wirklich die Nerven schont. So sehr es mich stresst, wenn abtrünnige Tierärzt:innen Patienten mit Heilverfahren traktieren, um deren Unwirksamkeit sie aufgrund ihrer intensiven und langen Ausbildung definitiv wissen müssten, so sehr kann ich die Verwendung pseudomedizinischen Unsinns durch Tierheilpraktikerinnen nachvollziehen. Was sollen sie auch anderes machen? Sieht man mal von der Pflanzenheilkunde, der Diätetik, der Physiotherapie und (mit gewissen Einschränkungen) der Akupunktur ab, haben Tierheilpraktikerinnen ja keinen Zugang zu tatsächlich wirksamen Heilverfahren. Wobei anzumerken bleibt, dass man auch mit Phytotherapie, Diätetik und Akupunktur viel Unheil anrichten kann, wenn man nicht weiß, was man tut, und davon ist halt nach der Absolvierung von ein paar Stunden Fernkursen leider auszugehen.

Denen, die immer mit fiebrigen Visionen einer Zusammenarbeit / Kooperation zwischen Tierärzt:innen und Tierheilpraktikerinnen um die Ecke kommen, kann ich nur sagen: Träumt weiter! Unter Berücksichtigung aller erläuterten Tatsachen ist schon allein der Gedanke vermessen und absurd, vergleichbar mit einer Forderung an Roger Federer, sich mit einer Immer-Samstags-eine-Stunde-Hobby-Tennisspielerin zusammenzutun, in der erklärten Absicht, das Mixed-Doppel in Wimbledon zu gewinnen.

Und für die, die jetzt wieder mit unzähligen Geschichten von schlechten Tierärztinnen und Tierärzten anfangen: Ich bin mir als Insider der Tatsache, dass es entsprechend der Gaußschen Verteilungskurve durchaus unterdurchschnittlich arbeitende Kolleginnen und Kollegen gibt, aber mal ehrlich: Selbst die haben in ihrem Leben schon mehr über Krankheiten, ihre Diagnose und Therapie vergessen, als eine Tierheilpraktikerin je wissen wird.

Dann an die gerichtet, die aktuell über eine „Karriere“ als Tierheilpraktikerin und die Buchung eines solchen „Fernstudiums“ nachdenken: Tun Sie es nicht! Wenn Sie die mehreren Tausend Euro, die für so eine Pseudo-Ausbildung fällig werden, gut anlegen, haben Sie später ganz sicher was davon, mindestens eine echt fette Urlaubsreise oder ein dickes Polster für eine notwendig werdende OP des eigenen Haustieres. Selbst wenn Sie das Geld im Aschenbecher verbrennen würden, gäbe das immerhin ein schönes Feuerchen und etwas Wärme, was in meinen Augen mehr wert wäre als so ein THP-„Fernstudium“. Kaufen Sie sich doch lieber ein handliches Taschenbüchlein (auf Amazon habe ich zum Beispiel „Hunde natürlich heilen: Homöopathie, Bachblüten, Schüßler-Salze & mehr“ gefunden, für nur 12,90 Euro). Das teuer bezahlte „ Zertifikat“, das Sie zum Abschluss Ihres „Studiums“ erhalten, könnten Sie sich – was seine Aussagekraft angeht – auch genau so gut von einer KI erstellen lassen und dann an die Wand hängen. Ich möchte fast wetten, dass selbst das niemanden interessieren würde.

Abschließend noch für die, die mich jetzt wieder als unerträglich arrogant bezeichnen: Wie immer bekommen Sie hier halt meine ehrliche und ungeschminkte Sichtweise zu tiermedizinischen Themen. Wem das nicht gefällt, muss sich meine Artikel ja nicht antun. Da ich meine Inhalte nicht monetarisiere, ist mir meine Reichweite ziemlich egal.

Ansonsten (und sicher bekannt): Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz! 😉

Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Ralph Rückert

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