Die (gesellschaftlich relevante!) Erziehung des Content Creators zu Click- und Rage-Baiting

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Merkt Ihr was? Wenn man so einen Text wie den letzten Artikel „Wie lernt man Operieren“ schreibt, mit reiner Sachinformation, so gar nichts Kontroverses drin, über das sich jemand aufregen könnte, interessiert es mehr oder weniger keine Sau. Natürlich wusste ich das schon vorher und habe sogar zu meiner Frau gesagt, dass ich an diesem Tag keinen Streit brauchen könne, weil wir für den Abend Gäste eingeladen hatten.

Mir persönlich kann es ziemlich egal sein, wenn ein Artikel oder anderer Inhalt mal nicht auf viel Interesse stößt und sich als Rohrkrepierer erweist, weil ich halt überhaupt kein finanzielles Interesse habe, also meine Reichweite nicht monetarisiere. Facebook trägt mir da immer irgendwas in diese Richtung an, aber das habe ich noch nicht mal gelesen, weiß also nicht, wie es genau funktioniert.

Ganz anders sieht es aus, wenn man als Blogger/Vlogger/Content Creator Geld verdient und auf dieses Geld auch angewiesen ist. Da muss man natürlich zügig lernen, was die meisten Clicks und die effektivste Reichweitenvergrößerung bringt, und das sind nun mal Emotionen: Mitleid, Trauer, Liebe auf der mehr oder weniger positiven Seite, aber halt leider (und deutlich wirksamer): Ärger, Empörung und Hass.

Es ist also sozusagen systemimmanent, dass die Masse der Leserinnen und Leser durch ihr nur auf stärkste Reize reagierendes und extrem flüchtiges Interesse die Content Creator zu Click- bzw. Rage-Baiting erzieht, um ihnen genau das im Anschluss unter erneuter Empörung vorzuwerfen, was wiederum den „social buzz“ verstärkt und jede Menge weiterer Clicks einbringt. Damit ist der Teufelskreis perfekt, denn die Gesellschaft im Ganzen verursacht, verstärkt und unterhält ein Phänomen, das ihr definitiv schadet.

Auf dieser Welle der Debattenüberhitzung und der ungezügelten (negativen) Emotionen reiten inzwischen zwangsläufig so gut wie alle, auch als sehr seriös geltende Quellen, schon allein deshalb, weil diese Vorgehensweise gesellschaftlich und finanziell zuverlässig belohnt wird. Selbst aus meiner Schneckenperspektive als kleiner Nischenthemen-Blogger kann ich feststellen, dass man früher mit nüchternen, eher unemotionalen und auch schwierigen Texten deutlich mehr Interesse wecken und halten konnte als heutzutage. Die öffentlichen Debatten werden immer schussliger, unkonzentrierter, emotionaler und leider auch hirnloser.

Es kann und muss einem also im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang meiner Meinung nach durchaus Sorgen machen, dass (mit ein paar rühmlichen Ausnahmen) alle, die Inhalte generieren, immer lauter auf die Pauke hauen müssen, immer noch emotionaler, verkürzender und blöder posten müssen, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Das gilt natürlich auch für politische Parteien und selbst für Regierungen, wie wir ja aktuell angespannt beobachten können. Und da kommt wieder mein Lieblingsspruch von Olaf Schubert: „Jetzt wisst ihr Bescheid! Macht was draus! Was, ist eure Sache, ich kann mich nicht um alles kümmern!“

Mein Blog und die damit verbundenen anderen Aktivitäten bleiben jedenfalls werbefrei und nicht monetarisiert. Meine Leserinnen und Leser müssen sich nie fragen, ob hinter dem, was ich schreibe, irgendwelche übergeordneten Interessen versteckt sind. Ich bekomme von niemandem Geld für meine Texte. Ich schreibe einfach, was ich will, immer unter der wiederholt geäußerten Vorgabe, einen ungeschönten Blick hinter die Kulissen der Tiermedizin zu gewähren. Ist das, was ich schreibe, also meine Meinung, Sichtweise, Auffassung, irgendwie kontrovers, erziele ich natürlich mehr Aufmerksamkeit. Beantworte ich – wie in dem oben erwähnten Artikel – einfach die Frage einer Leserin, ist das im Sinne von Clicks und Reichweite überhaupt nicht produktiv, was mir aber aus den genannten Gründen völlig Latte sein kann.

Deshalb: Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Ralph Rückert

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