Die nächste Hitzewellen-Lachnummer: Eiswürfel töten Hunde!

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Eine Leserin hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Text gerade durch die Sozialen Medien geistern würde:

„KEINE EISWÜRFEL FÜR HUNDE“

Wichtig zu wissen, falls noch nicht bekannt!

Aus einem Niederländischen Beitrag von einem Tierarzt:

Ich war heute morgen bei Kunden. Ein Besuchshund bei den Nachbarn meines letzten Kunden starb über Nacht. Geben Sie Ihrem Hund KEINE Eiswürfel oder andere gefrorene Gegenstände in der Hitze, um ihn abzukühlen! Eiswürfel kühlen Hunde nicht!

Ich poste diese Warnung mehr als einmal im Sommer. Das Verabreichen von Eiswürfeln/Hundelutschern an Hunde in der Hitze hat den gegenteiligen Effekt der Kühlung. Der vordere Hypothalamus des Hundes wird ausgelöst, um den Körper aufzuwärmen, weil er erkennt, dass etwas Eiskaltes absorbiert wurde, und dann steigt die Körpertemperatur, um dies auszugleichen. Bei extremer Hitze sollte die Temperatur eines Hundes schrittweise gesenkt werden. Leider ist das oben Gesagte bei dem oben genannten Hund, der erst 7 Jahre alt ist, der Fall. Geben Sie Hunden nur lauwarmes Wasser. Mit warmem Wasser getränkte Handtücher, die dicht an der Haut in das Fell des Hundes eingerieben werden, um die Körperwärme abzuleiten, halten ihn kühl, insbesondere unter den Vorderpfoten (Achseln) und Ballen. KEINE EISWÜRFEL“

Da ich ja über die Jahre eine Leserschaft gesammelt habe, die sich eher auf echte Wissenschaft als auf Social-Media-Clickbait-Bullshit verlässt, wird es wohl die wenigsten überraschen, wenn ich sage, dass es für diese Behauptungen einfach keine mir bekannte Evidenz gibt. Ob nun Eiswürfel, Speiseeis, Hundeeis, Eiskugeln oder sehr kaltes Wasser: Magenkrämpfe kann sich der Hund damit durchaus zuziehen, aber dieser Gedankengang mit einer „Auslösung des vorderen Hypothalamus“ und einem daraus resultierenden Versterben durch Überhitzung (!) ist halt leider kompletter Unsinn. Bitte lesen Sie dazu den verlinkten Artikel der Justus-Liebig-Universität Giessen, der sich zwar auf Menschen bezieht, aber durchaus auf den Hund übertragen werden kann.

Kaltes, das natürlich gerade bei Hitze von Mensch und Hund mit Freuden aufgenommen wird, erwärmt sich danach im Magen-Darm-Trakt ziemlich schnell auf die Körpertemperatur. Es müssen sehr große Mengen kalter Getränke oder Nahrungsmittel aufgenommen werden, damit sie überhaupt einen Einfluss auf die Körpertemperatur haben können, aber auch dieser sehr kurzfristige Effekt wird ganz schnell wieder auf den Sollwert eingeregelt, ohne dass der Körper dadurch auch nur ansatzweise aus dem Tritt kommen würde.

Ich habe keine Ahnung, ob der obige Text tatsächlich von einem Kollegen stammt oder ob sich den jemand einfach zusammenfabuliert hat. Sollte das wirklich ein Tierarzt geschrieben haben, dann wäre das bedauerlich und ein weiteres Beispiel dafür, dass auch Kolleginnen und Kollegen nicht davor gefeit sind, Kausalität und Korrelation nicht voneinander unterscheiden zu können. Ein Hund kann natürlich über Nacht an allem möglichen versterben, ohne auch nur den geringsten Zusammenhang mit ein paar Eiswürfeln, die er ein paar Stunden zuvor verabreicht bekommen hat.

Ganz allgemein: So zerbrechlich, wie der zitierte Text mit seinen ganzen Lauwarm-Pseudo-Ratschlägen daherkommt, ist die Säugetierphysiologie einfach nicht. Wenn es einem Hund heiß ist, kann er natürlich (wie wir Menschen auch) ziemlich kaltes Zeug zu sich nehmen oder auch in einen Bach oder See hüpfen, ohne dass ihm gleich Verderben und Tod drohen.

Das ist jetzt allerdings keine Freigabe für superdämliches Verhalten, wie ich es einmal vor vielen, vielen Jahren erlebt habe: Der Besitzer eines Schäferhundes und Kunde meiner Praxis ging an einem heißen Sommertag mit dem Hund auf eine Bergtour im Allgäu. Er hatte KEIN Wasser für das Tier dabei. Ungewöhnlich für das Allgäu fand sich auch unterwegs kein Wasser, das der Hund hätte trinken können. Wieder zurück im Tal war der Hund schon ziemlich am Ende, als die Beiden dann doch auf einen Bach stießen, der eiskaltes Schmelzwasser aus den Hochlagen abführte. Der Besitzer ließ den Hund sich völlig unkontrolliert vollsaufen, was dann prompt zu den oben erwähnten Magenkrämpfen und hochfrequentem Erbrechen führte. Kurz vor dem geparkten Auto ging der Hund in Seitenlage, worauf mich der Besitzer von einer Telefonzelle aus anrief (ja, es gab noch keine Mobiltelefone). Ich riet ihm dringend, sofort an Ort und Stelle tierärztliche Hilfe zu suchen. Das hat er leider nicht getan, sondern hat sich stattdessen auf den Weg nach Ulm gemacht. Als er in der Praxis eintraf, war der Hund schon tot. Wie gesagt: Maximal dämliches Verhalten von vorne bis hinten!

Aber auch dieser Hund ist natürlich nicht an einer „Auslösung des vorderen Hypothalamus“ mit darauf resultierender Überhitzung gestorben. Der war durch die Tour ohne Zugang zu Wasser schon massiv ausgetrocknet und überhitzt und hat sich dann das eiskalte Schmelzwasser literweise reingezogen. Da ist also alles zusammengekommen: Kurz vor oder schon im Hitzschlag, Austrocknung, Elektrolytentgleisung und dann auch noch mehrfaches, schweres Erbrechen mit weiteren Elektrolytverlusten – das haut dann am Ende halt auch den Stärksten um.

Ansonsten können Hunde bei Hitze so ziemlich alles machen, was wir auch tun: In den See, den Bach oder den Pool springen, kalt duschen, kaltes Wasser trinken und Eis essen! Das alles natürlich – und es ist schade, dass man es nochmal hinzufügen muss – immer mit dem gebotenen Augenmaß!

Abschließend noch eine Warnung, einen ganz anderen Teil der Anatomie betreffend: Beileibe nicht alle, aber manche Hunde können so gepolt sein, dass sie auf einen großen und harten Eiswürfel derartig viel Beißkraft anwenden, dass es im dümmsten Fall zu einer Zahnfraktur kommen kann.

Einen schönen Sommer, und bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Ralph Rückert

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