Von Ralph Rückert, Tierarzt
Das Tierheim Hilden sucht für „unseren kleinen Mops Sam“, „unseren kleinen Clown“ ein neues Zuhause, siehe der Facebook-Screenshot.
Folgt man dem angegebenen Link auf die Homepage des Tierheims, erfährt man mehr. Ich zitiere in voller Länge den ursprünglichen Text, der inzwischen aufgrund der zunehmenden Kritik leicht verändert worden ist:
„Sam – ein kleiner Clown mit großem Herzen sucht liebevolles Zuhause. Sam ist ein fröhlicher, menschenbezogener Mops-Rüde, der am 03. Mai 2025 gemeinsam mit drei weiteren Hunden zu uns ins Tierheim kam. Leider ist seine Besitzerin verstorben, und so suchen wir nun für diesen kleinen Sonnenschein ein neues Zuhause, in dem er wieder Freude und Zuwendung erleben darf. Über Sam: Sam ist ein richtiger Gute-Laune-Hund – verspielt, schmusig und einfach nur liebenswert. Er liebt es, Zeit mit Menschen zu verbringen und bringt mit seiner aufgedrehten, fröhlichen Art alle Herzen zum Schmelzen. Als kleiner Clown sorgt er für viele Lacher und zeigt sich stets offen und charmant im Umgang. Spaziergänge & Sozialverhalten: Sam liebt es, über den Tag verteilt mehrere kleine Gassirunden zu drehen. Frische Luft, neue Eindrücke und gemütliches Schnüffeln – das ist ganz nach seinem Geschmack! Mit anderen Hunden zeigt er sich gut verträglich und kann auch gerne gemeinsam mit seiner kleinen Malteser-Freundin Fiene vermittelt werden – das ist aber kein Muss. Gesundheit & Pflege: Sam wird zeitnah zahnmedizinisch behandelt, da eine Zahnsanierung notwendig ist. Zudem hat er eine Hornhautentzündung und bekommt aktuell zweimal täglich eine Augensalbe, was er brav mit sich machen lässt. Es wird derzeit noch tierärztlich abgeklärt ob hier noch eine OP erfolgen muss. Seine Pflegebedürfnisse sind gut zu handhaben – mit ein wenig Fürsorge und Routine ist das problemlos in den Alltag zu integrieren. Was Sam sucht: Gesucht wird ein liebevolles Zuhause, das Freude daran hat, sich mit einem fröhlichen, kleinen Hundekumpel den Alltag zu verschönern. Menschen, die ihm Zuwendung, Sicherheit und ein bisschen Verwöhnung bieten möchten, sind bei Sam genau richtig. Ein Zuhause mit kurzen Wegen für die Gassirunden wäre ideal – viel wichtiger ist ihm aber, dass er nicht allein ist und endlich wieder dazugehören darf. Was Sam mitbringt: Mit Sam bekommt man einen verschmusten, fröhlichen kleinen Begleiter, der für jedes Lächeln dankbar ist. Er bringt Leichtigkeit, Wärme und ein großes Herz mit – und sucht einfach nur Menschen, bei denen er wieder ankommen darf.“
Das ist ein routiniert geschriebener Text, der natürlich dafür sorgen soll, dass der Hund möglichst schnell vermittelt wird, was ja durchaus die vordringliche Aufgabe eines Tierheimes sein muss. Es ist aber auch ein Text – und da setzt meine Kritik an – der das Dauerleiden dieses Hundes und das, was auf die zukünftigen Besitzer zwangsläufig zukommt, fast vollständig unter den Tisch fallen lässt, und zwar ganz bewusst zugunsten einer Sprachführung, die auf einen spontanen „Süüüüß!!! Will haben!!!“-Effekt ausgelegt ist.
Immerhin wird im Absatz „Gesundheit und Pflege“ zumindest flüchtig angedeutet, dass da so einiges im Argen liegt, was die Zähne und die Augen angeht. Dies wird aber gleich im nächsten Satz verharmlost, mit der äußerst gewagten Behauptung, dass die Pflegebedürfnisse des Hundes gut zu handhaben und mit ein wenig Fürsorge und Routine problemlos in den Alltag zu integrieren wären.
Deshalb an dieser Stelle mal ein Reality-Check: Was sieht ein Tierarzt wie ich, mit 35 Jahren Praxiserfahrung und mit unzähligen Behandlungen brachycephaler Hunde auf dem Buckel?
Besonders interessant und entlarvend war ein elf Sekunden langer Videoclip, der ursprünglich ganz unten auf Sams Vorstellungsseite zu finden war. Dort war eindeutig zu sehen, dass Sam nur mit geöffnetem Maul atmen (bzw. röcheln) kann. Die einzigen Momente, in denen das Maul des Hundes mal kurz geschlossen ist, dienen nur der schnellen Befeuchtung der Schleimhäute mit Speichel. Die Atemgeräusche können als extrem bezeichnet werden.
Warum kann Sam nur mit geöffnetem Maul atmen, was übrigens für Hunde völlig unphysiologisch ist? Das sieht man auf dem Foto ganz oben: Er hat eine extrem verkürzte Nase mit fast vollständig geschlossenen Nasenlöchern. Nach den Gesetzen der Strömungsphysik können durch diese Schlitze nur etwa 10 bis 20 Prozent der Luft gesogen werden, die ein Hund mit normalen Nasenlöchern bekommt. Weiterhin müssen wir aus den lauten, röchelnden Atemgeräuschen schließen, dass wir es im Bereich des Gaumensegels und des Kehlkopfes mit weiteren und beträchtlichen Verengungen der Atemwege zu tun haben. Sam ist also ein vom Brachycephalen Obstruktiven Atemwegssyndrom (BOAS) schwer betroffener Patient. Man beachte, dass die durch die chronische Atemnot verursachte Aktivitätseinschränkung des Hundes vom Tierheim buchstäblich als Vorzug für Gehfaule angepriesen wird.
Auf dem Foto sehen wir außerdem die Gründe für die im Text erwähnten Augenprobleme von Sam: Die Nasenfalte ist so extrem aufgeworfen, dass der Hund nicht mal den Boden vor seinen Füßen sehen kann. Gleichzeitig übt diese Falte Druck auf die Oberfläche (die Hornhaut, die Sklera) der weit hervorstehenden Augäpfel aus und trägt damit wesentlich zur Entstehung von entzündlichen oder gar ulzerativen Hornhauterkrankungen bei. Ein weiterer Begünstigungsfaktor für Hornhautprobleme ist die Tatsache, dass derartig weit aus den kaum vorhandenen Augenhöhlen tretende Augen einen vollständigen Lidschluss beim Zwinkern und auch im Schlaf nicht zulassen, so dass Bereiche der Sklera nicht ausreichend befeuchtet werden. Aus diesen anatomisch-funktionellen Tatsachen ergibt sich die Folgerung, dass die vom Tierheim erwähnte Behandlung mit Augensalbe nur eine Symptombekämpfung, nicht aber eine ursächliche Therapie sein kann.
Auch die im Vorstellungstext des Tierheims kurz angesprochene Notwendigkeit einer Zahnsanierung ist natürlich eine direkte Folge der extremen Schädeldeformation, die immer und grundsätzlich zu massiven Zahnfehlstellungen führt. Eine Zahnsanierung bei einem Extrem-Brachycephalen wie Sam ist mit sehr hohem Aufwand verbunden und setzt ein hohes Maß an technischer Ausstattung und zahnmedizinischer Sachkunde voraus. Die völlig chaotisch stehenden Zähne führen dazu, dass das normale Zahnröntgen in der Regel nicht ausreicht, um die Situation ausreichend sicher beurteilen zu können, was dann ein Kopf-CT notwendig macht.
Fazit: In einem ehrlichen, offenen und gezielt nicht auf völlig unüberlegte Begehrlichkeitsrelexe abzielenden Vorstellungstext für Sam müsste also auf jeden Fall deutlich hervorgehoben werden, dass dieser Hund trotz aller seiner charakterlichen Vorzüge ein Paradebeispiel für Qualzucht darstellt und dass seine Adoption nur Menschen empfohlen werden kann, die über die Mittel, die Einsichtsfähigkeit und die psychische Belastbarkeit verfügen, um einen schwierigen therapeutischen Weg zu gehen, der dem Tier mittelfristig ein wenigstens halbwegs erträgliches Leben ermöglichen kann.
Sam braucht – und daran besteht für mich überhaupt kein Zweifel – möglichst schnell erstens eine OP, um die monströse Nasenfalte zu korrigieren, was dann auch zu einer gewissen Besserung der Augenprobleme führen sollte. Zweitens benötigt er die sogenannte Multi-Level-Brachycephalen-Chirurgie (Nasenloch- und Nasenmuschelkorrektur, Gaumensegelkorrektur, evtl. Tonsillektomie und Laryngoplastik). Drittens wird Sam sein Leben lang ein Zahnpatient bleiben, der in regelmäßigen Abständen aufwändige Zahnsanierungen benötigen wird.
Wir reden hier also von ganz beträchtlichen finanziellen Belastungen, die sehr schnell auch den fünfstelligen Bereich erreichen können, von dem Stress, den das alles bedeutet, ganz zu schweigen. Der Mops hat das sicher verdient. Ich gönne ihm von ganzem Herzen, dass er neue Menschen findet, die ihm das alles geben können, sehe aber aufgrund der offensichtlichen Schönfärberei leider die Gefahr, dass er in auch vom Tierheim zu verantwortender Unkenntnis der erläuterten Umstände bei Leuten landet, die eine solche Belastung nicht tragen können, und damit im Prinzip vom Regen in die Traufe kommt. So einen absoluten Problemhund wie warm Sauerbier anzupreisen, ist auch und gerade für eine Tierschutzorganisation der falsche Weg, weil dadurch – wie man an vielen Kommentaren unter dem Facebook-Posting leicht erkennen kann – Begehrlichkeiten bei Leuten hervorgerufen werden, die nicht mal einen blassen Schimmer davon haben, was die Anschaffung eines solchen Hundes wirklich bedeutet.
Ein anderer ärgerlicher Punkt an dem Posting: Seit Jahren bemüht sich die Tierärzteschaft darum, dass Fotos von Plattnasen nicht für Werbung eingesetzt werden. Genau dies aber findet hier leider statt, ausgerechnet durch eine Tierschutzeinrichtung. Beim flüchtigen Durchscrollen der FB-Seite des Tierheimes findet man kaum Beiträge, die mehr Reaktionen ausgelöst haben. Durch den überenthusiastischen und das eigentliche Problem völlig unter den Teppich kehrenden Text wird aus einer durchaus nachvollziehbaren Vermittlungsbemühung leider ziemlich schäbiges Clickbaiting auf Kosten des Hundes. In meinen Augen bedauerlich, zumal das Tierheim durch nicht wenige Diskussionsteilnehmer:innen (auch von Kolleginnen und Kollegen von mir) kritische Kommentare bekommen hat, was aber nur dazu geführt hat, dass der erwähnte und tatsächlich aussagekräftige Videoclip durch ein weiteres „süüüßes“ Foto ersetzt, ein trockener Dreizeiler zum Thema Qualzucht hinzugefügt und in einem Nebensatz beiläufig erwähnt wurde, dass da – wie von mir dargestellt – doch noch mehrere OPs notwendig werden könnten.
Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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