Von Ralph Rückert, Tierarzt
Am 19. August 25 hat eine gewisse Heike Wieneke, die für sich auf ihrem Profil einen Zusammenhang zu einer „Igelstation Bergheim“ und zu „Erftigel e.V.“ herstellt, den folgenden Text auf Facebook online gestellt, inzwischen aber (wahrscheinlich wegen zu viel Gegenwind) die Kommentarfunktion deaktiviert:
„Warum ist man Tierarzt geworden?
Warum nimmt man dieses lange, harte Studium auf sich?
Um Geld zu verdienen – oder um Tieren zu helfen?
(Daher kommt schließlich der Name.)
Es ist unfassbar.
Immer wieder schicke ich Finder mit verletzten Igeln zum Tierarzt – dahin, wo sie hingehören: zu ausgebildeten Fachleuten, die eine Erstversorgung leisten sollen.
Und was passiert?
Die Menschen werden mit dem Tier wieder zurückgeschickt.
„Das ist besser was für die Igelstation“, heißt es dann.
Und dann kommen die Tiere hier an:
- mit schwerstem Madenbefall
- mit Abszessen, die niemand geöffnet hat
- mit offenen Wunden
- mit Medikamenten für zuhause, die überhaupt nichts lösen
Ich habe Igel aufgemacht, aus denen die Maden nur so herausgefallen sind – und das nach einem Besuch beim Tierarzt. Ich habe Tiere bekommen, die kaum noch Luft bekamen, weil die Lunge voller Entzündung war – und trotzdem einfach wieder mitgegeben wurden.
Die Ausrede lautet dann: „Wir sind nicht wildtierkundig.“
Aber ganz ehrlich: Wenn ein Igel versichert wäre und 480 € eingebracht hätte, würde plötzlich niemand sagen „Wir können das nicht“.
Und ja, zum Glück sind nicht alle Tierärzte so.
Es gibt sie noch – die Ausnahmen, die sich wirklich ein Bein ausreißen, um einem Igel, einer Maus oder einem Vogel zu helfen. Aber es sind leider Gottes die Ausnahmen.
Ein Beispiel von gestern zeigt genau, warum ich so wütend bin:
Ein Igel, übersät mit Fliegeneiern, einem Abszess und mehreren Wunden. Ich konnte ihn nicht selbst versorgen, weil ich mitten in der Babypflege stecke, also habe ich einen Tierarzt genannt, der helfen kann – durch Behandlung oder, wenn nötig, durch eine Euthanasie.
Doch statt das Tier einfach aufzunehmen, hieß es: „Sie müssen stundenlang im Wartezimmer warten.“
Die Finder waren überfordert – und am Ende hat der unkooperative Finder den Igel wieder mitgenommen. Dieses Tier ist nie in einer Station angekommen. Realistisch heißt das: Es ist irgendwo elendig gestorben.
Das ist kein Einzelfall. Viel zu oft werden Wildtiere abgewiesen oder horrende Beträge nach GOT verlangt, die niemand für ein Wildtier zahlt. Dabei ist es doch schon großartig, wenn jemand einen verletzten Igel überhaupt aufliest. Dann muss er auch Hilfe bekommen.
Warum ist man Tierarzt geworden?
Um Geld zu verdienen – oder um Tieren zu helfen?
Ich bin selbst gelernte Tierarzthelferin. Ich weiß, dass ein Abszess bei einem Igel genauso behandelt werden kann wie bei einem Hasen oder Kaninchen. Ich weiß, dass die Medikamente zugänglich sind. Und ich weiß vor allem: Früher gab es Tierärzte, die nicht weggeguckt haben. Mein Chef damals – Dr. Schlömer – hat nie ein Wildtier abgewiesen. Weil er Tierarzt aus Leidenschaft war.
Heute dagegen?
Wenn es „nett“ läuft, wird ein Igel einfach eingeschläfert.
Ob er wirklich keine Chance gehabt hätte, hinterfragt kaum jemand.
Aber Fakt ist: Wir Igelstationen können diese Lücke nicht schließen. Wir haben weder das komplette Equipment, noch die Medikamente, noch die rechtliche Erlaubnis. Und trotzdem müssen wir es tun – weil sonst niemand hilft.
Heute Abend kommt wieder ein Igel mit entzündetem Bein. Tierärztlich „versorgt“. Ich ahne, was mich erwartet: Maden, die herausfallen, sobald ich ihn öffne.
Und ich frage mich ernsthaft:
Was ist aus dieser Welt geworden?
Und was ist aus einem Beruf geworden, der doch eigentlich einmal davon handelte, Tieren zu helfen?
Selbst Kinder wissen, was richtig und was falsch ist.
Und das hier ist einfach falsch.“
Wenn wir jetzt mal nur die zentrale Aussage des Textes hernehmen, die da lautet, dass Igel als Patienten inzwischen von vielen tiermedizinischen Einrichtungen abgewiesen werden, dann haben wir einen klaren Zusammenhang zu einem Artikel von mir aus dem Jahr 2019, in dem ich den Igelstationen genau diesen Effekt vorhergesagt und sie davor gewarnt habe, mit ihren maßlosen Forderungen und ihrem dreisten Verhalten den Bogen zu überspannen. Wenn es nicht zu viel verlangt ist, sollten Sie diesen 6 Jahre alten Text jetzt mal schnell lesen.
Damals wurde von vielen der Igel-Leute in strengen Worten gefordert, dass Tierärztinnen und Tierärzte, die sich mit Igeln (natürlich nach den Maßstäben der allwissenden Igel-Leute!) nicht genug auskennen, die also nicht „igelkundig“ sind, dies gefälligst auch offen kommunizieren sollen, damit nicht so viele Igel (nach den Maßstäben der allwissenden Igel-Leute!) fehlbehandelt werden. Die damalige Kernbotschaft war: „Wenn ihr euch nicht auskennt, dann lasst bloß die Finger weg von unseren Igeln!“. Wegen dieser Botschaft und auch aufgrund diverser Vorfälle in den letzten Jahren haben nach meinem Gefühl – nun bestätigt durch Frau Wienekes Posting – sehr viele Kolleginnen und Kollegen beschlossen, keine Igel mehr als Patienten anzunehmen. Wir haben es also meiner Meinung nach mit einem hausgemachten Problem zu tun, das die Igelschutz-Community sich voll und ganz selbst zuschreiben muss. So leid es mir für die (wahrscheinlich vielen) tut, die ihr Igel-Engagement still und leise, ohne Tamtam, ohne unüberlegte Social-Media-Tiraden und in guter Kooperation mit umliegenden tiermedizinischen Einrichtungen verfolgen: Berufsintern gelten inzwischen „Igel-Uschis“ als so ziemlich das Schlimmste, was einem in die Praxis schneien kann. Dementsprechend habe ich unter Frau Wienekes Posting auch geantwortet:
„Liebe Frau Wieneke, auf einen groben Klotz gehört in meinen Augen grundsätzlich ein grober Keil, deshalb: Das habt ihr super gemacht, ihr Igelschützer:innen! Ich habe es euch schon 2019 vorhergesagt, dass ihr mit eurer maßlosen und dreisten Anspruchshaltung drauf und dran seid, die Kolleginnen und Kollegen, die sich bisher mit freiwilligem Engagement und reichlich Herzblut um Wildtiere und speziell Igel gekümmert haben, endgültig zu vergraulen. Ihr habt völlig unterschätzt, wie maximal vernetzt die tiermedizinische Community heutzutage ist. Wenn da eine Igel-Uschi einen berufsintern bekannten und kompetenten Kollegen, der sich zuvor immer um solche Fälle bemüht hat, bei der Staatsanwaltschaft und bei der Kammer wegen vermeintlicher Falschbehandlung anzeigt und er sich dagegen zwar voll und ganz erfolgreich, aber mit einem enormen Aufwand verteidigen muss, dann löst das Schockwellen im gesamten Berufsstand aus. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn eine Tierschutz- bzw. Igel-Orga öffentlich den Ratschlag postet, Igel AUF GAR KEINEN FALL zum Tierarzt zu bringen, weil der eh nix davon versteht und den Igel bloß umbringt. Und das wird auch jetzt wieder passieren mit ihrem Ragebait-Posting, denn es ist in der größten deutschen Fachgruppe bereits zum Thema geworden. Es ist sehr leicht vorhersehbar, dass euch das wieder so einige tiermedizinische Anlaufstellen kosten wird, weil Kolleginnen und Kollegen zu dem Schluss kommen, dass man es dieser Szene so oder so nicht recht machen kann und dass man schon aus Selbstschutzgründen jeden Kontakt (und damit natürlich auch jede Igelbehandlung) vermeiden sollte. So ist es damals auf jeden Fall bei mir gelaufen. Nach der (natürlich wie üblich mit viel öffentlichem Tamtam verbundenen) Anzeige gegen den Kollegen kam auch ich zu dem Schluss, Igel in Zukunft abzuweisen. Aus meiner Sicht kann man sich mit der Annahme solcher Fälle nur noch selber schaden. Gefordert wird nämlich höchstqualifizierte Behandlung zum Nulltarif, und was „höchstqualifiziert“ bedeutet, wird von der jeweiligen Igel-Uschi in selbstherrlicher Ignoranz festgelegt. Machst du es entweder nicht kostenlos oder aber (in den sachkundigen Augen der Uschi) falsch, wirst du danach im Netz öffentlich zerrissen, ganz nach der Methode, die auch hier mit diesem Posting demonstriert wird. Nein, da muss man dann eben an seine Reputation bei den Kundinnen und Kunden denken, die einem das Geld in die Praxis bringen. Lieber werde ich wegen der Abweisung eines Falles aufgrund mangelnder Fachkompetenz für diese Tierart kritisiert als für eine angebliche Fehlbehandlung. Fazit: Man kann natürlich mit Leuten, auf die man dringend angewiesen ist, so umgehen wie in diesem Posting. Man darf sich dann nur nicht über die Auswirkungen wundern und beklagen! Das Thema ist für mich noch nicht beendet, denn ich werde darüber diese oder nächste Woche noch einen Blogartikel schreiben.“
Ohne jetzt detailliert auf die diversen Unverschämtheiten einzugehen, die in Frau Wienekes Posting enthalten sind, stellt sich mir die Frage, was sie eigentlich erreichen wollte. Ich stehe da wirklich vor einem Rätsel! Es wird wohl kein Mensch glauben, dass nun massenhaft Kolleginnen und Kollegen – ganz betreten ob dieses öffentlichen Anschisses – Igel wieder als Patienten annehmen, oder? Nein, sicher nicht, ganz im Gegenteil, der Beitrag zerschlägt ja noch mehr Porzellan als in den letzten Jahren sowieso zerschlagen worden ist. Es werden also wieder Praxen wegbrechen, wahrscheinlich im dreistelligen Bereich bundesweit. Wie in meinem Kommentar schon erwähnt: Sowas spricht sich in unserem Berufsstand blitzschnell rum, mit den entsprechenden Konsequenzen. Zu wessen Nachteil? Na klar, zum Nachteil der Igel, deren Schutz man sich doch angeblich verschrieben hat.
Wenn man im Interesse der Igel an einer Verbesserung der geschilderten, auch aus meiner Sicht durchaus bedauerlichen, aber eben auch selbstverschuldeten Situation interessiert ist, dann kann man so einen Rundumschlag gegen einen Berufsstand, auf den man dringend angewiesen ist, weder schreiben noch veröffentlichen, denn dadurch entsteht nichts als verbrannte Erde. Sollte Frau Wieneke noch Kolleginnen und Kollegen kennen, die gewillt sind, mit ihr zusammenzuarbeiten, könnte sich das nach dem allgemeinen Bekanntwerden ihres Textes sehr schnell ändern. Und auch wenn dem nicht so wäre, so schadet sie doch allen anderen Engagierten im Igelschutz. Frau Wieneke macht in einem Kommentar die für mich nicht überprüfbare Angabe, dass in Deutschland rein rechnerisch etwa 100.000 Igel pro Jahr von rund 700 ehrenamtlichen Igelstationen (und den mit ihnen zusammenarbeitenden Tierärztinnen und Tierärzten!) versorgt würden. Wenn das so stimmt, macht es die eigentliche Dimension des Problems doch offensichtlich. Natürlich postet Frau Wieneke ihre persönlichen Ansichten und Gefühle. Nichtsdestotrotz wird das von uns Tierärztinnen und Tierärzten zumindest auf der Gefühlsebene mit der gesamten Igelschutz-Szene assoziiert, so im Sinne von: „Ah ja, schon wieder ein Anschiss von einer Igel-Uschi! Passt schon, ich bin dann mal raus!“.
Fazit: Das Posting ist ein echter Bärendienst für die Igel, denen man ja so dringend helfen möchte, und ein weiterer, dicker Stein in der Mauer, die so einige profilneurotische Igelschutz-Leute in den letzten Jahren zwischen Igelhilfe und Tiermedizin hochgezogen haben. Will man wirklich helfen, sucht man beharrlich das nicht-öffentliche Gespräch mit tiermedizinischen Einrichtungen in seiner Umgebung, hört sich die Gründe der Praxisinhaber:innen für die Ablehnung von Igelpatienten an, versucht zu überzeugen oder zu überreden, baut sich so Stück für Stück ein Netzwerk auf, auf das man sich verlassen kann, und achtet in der Folge sehr darauf, dieses nicht durch so einen in die Öffentlichkeit hinausposaunten Seich kaputt zu machen. Ich habe es in 35 Jahren praktischer Tätigkeit nicht einmal erlebt, dass mal jemand aus dem Igelschutz zu mir in die Praxis gekommen wäre und mit mir das Gespräch gesucht hätte. Stattdessen werden die Finder:innen einfach in die diversen Praxen und Kliniken geschickt, ohne jede Vorabrecherche, ob dort solche Fälle überhaupt angenommen werden, und leider auch noch oft mit der absolut falschen Aussage, dass Tierärzte Wildtiere umsonst behandeln würden oder gar müssten.
Man sollte sich in dieser Szene zweier Tatsachen immer bewusst sein: Erstens legen genau die Praxen, die noch Wildtiere für lau oder gegen reine Unkosten behandeln, nicht den geringsten Wert darauf, dass sich das allzu sehr rumspricht. Immerhin geht es dabei um einen Verstoß gegen die Gebührenordnung, der sehr unangenehme Folgen nach sich ziehen kann. Außerdem führt das Bekanntwerden einer kulanten Haltung in Sachen Wildtierversorgung leider sehr schnell dazu, dass statt des kleinen Fingers gleich die ganze Hand genommen wird, dass also dann so viele dieser Fälle präsentiert werden, dass die betreffenden Praxen das betriebswirtschaftlich nicht mehr stemmen können. Zweitens haben wir als Berufsstand kollektiv die Schnauze gestrichen voll davon, dass immer wir für wer weiß was alles zur Kasse gebeten werden sollen, weil wir uns doch angeblich durch unsere Berufswahl dazu verpflichtet hätten, alles für Tiere zu tun, ohne jeden Gedanken an Einkommen, Betriebswirtschaft und Verantwortung für die Angestellten. Wie ahnungslos Frau Wieneke bezüglich letzterer Punkte ist, kommt in der Diskussion ihres Textes auf Facebook zum Ausdruck, wenn sie den Tierarztpraxen in grenzenloser Großzügigkeit die Berechnung einer Wildtierpauschale von 20 Euro pro Fall vorschlägt.
Wir können uns darauf einigen, dass der Igel es zunehmend schwer hat in unserer Landschaft. Es ist auch durchaus anerkennenswert, dass es Menschen gibt, die sich aufopferungsvoll um Igel in Not kümmern. Viele mir bekannte Kolleginnen und Kollegen sind dazu bereit, dieses Engagement IN ALLER STILLE und mehr oder weniger kostenkulant zu unterstützen. Es sind aber in den letzten Jahren deutlich weniger geworden, und das vor allem durch das von der Igelszene immer wieder ausgehende und maximal kurzsichtige Getöse. Verstärkt wird dieser Effekt nun auch noch dadurch, dass wir aufgrund des extremen Fachkräftemangels bereits nicht mehr in der Lage sind, unsere eigentlichen und die vollen Gebühren zahlenden Kundinnen und Kunden ausreichend zu bedienen. Ich kann dem Igelschutz im Ganzen nur dringend empfehlen, die tiermedizinischen Einrichtungen, die noch bereit und in der Lage sind, Wildtiere und speziell Igel zu versorgen, als sehr wertvolle Ressource zu sehen, mit der man eigentlich extrem feinfühlig, besonnen und vor allem ohne ständige, lärmende und einen ganzen Berufsstand diffamierende Anschuldigungen umgehen sollte.
Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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