Von Ralph Rückert, Tierarzt
Langjährige Leser:innen werden erkennen, dass das die überarbeitete Version eines Artikels ist, der schon so einige Jahre auf dem Buckel hat. Ich hole ihn (und kurz darauf auch den zweiten Teil) wieder nach oben, weil er nach wie vor aktuell ist und weil ich dann noch einen dritten Teil zu dieser Serie hinzufügen möchte.
Auch wenn ich mich sehr bemüht habe, meine Patienten nur so viel zu impfen wie nötig, ich aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse ein Problem mit der pauschalen Kastration von Hunden hatte und ich mich ganz allgemein als Tierarzt sehe, der nach dem Leitsatz „Primum non nocere“ („In erster Linie nicht schaden“) erst eingegriffen hat, wenn es wirklich nötig war, war, bin und bleibe ich wissenschaftlicher Tiermediziner mit Leib und Seele. In meiner Praxis gab es deshalb nur evidenzbasierte, also in ihrer Wirksamkeit bewiesene Tiermedizin, keine Schwurbeleien wie Homöopathie, Bach-Blüten, Schüssler-Salze, Bioresonanz oder sonstigen Humbug.
Warum? Fragen wir mal anders herum: Weshalb gehen Sie mit Ihrem kranken Tier zu einer Tierärztin oder einem Tierarzt? Nun, in der Regel, damit es wieder gesund gemacht wird, eine Krankheit durch Prophylaxe verhindert oder zumindest ein nicht mehr heilbares Leiden gelindert wird. Dafür zahlen Sie gutes und oftmals sauer verdientes Geld. In meinen Augen sind wir Ihnen dafür eine medizinische Vorgehensweise schuldig, die wissenschaftlich beweisbar funktioniert. Alles andere wäre ja Betrug an Ihnen, also Quacksalberei, und darüber hinaus ein Vergehen an Ihrem Tier, das sich (wie übrigens auch ein Kind!) nicht gegen irgendwelche Spinnereien wehren kann.
Unter rein geschäftlichen Gesichtspunkten war und ist das natürlich überhaupt nicht clever von mir. Es gibt schließlich mehr als genug Besitzer:innen, die sich für Ihre Tiere eine „sanfte“, eine „ganzheitliche“, eine „alternativmedizinische“ Behandlung, möglichst „frei von Chemie“ wünschen. Das ist ein Multi-Millionen-Markt. Es gibt meines Wissens nur sehr wenige Medikamente mit einer so hohen Gewinnspanne wie irgendwelche beliebigen homöopathischen Globuli. Die Herstellung von homöopathischen Zubereitungen ist in weit größerem Ausmaß eine veritable Gelddruckmaschine als jedes beliebige Antibiotikum. Diese Wünsche zu erfüllen, kann also enorm profitabel sein, nicht nur in der Herstellung der entsprechenden Präparate, sondern auch im Vertrieb, also in den Praxen, die sie anwenden. Dementsprechend sind sich natürlich so einige Tiermediziner:innen absolut nicht zu schade, in diesen trüben Gewässern zu fischen, eine Tatsache, die zum Fremdschämen ist und mir einen eigenen Artikel, Teil II dieser Serie, wert sein soll.
Wie viel auch immer es mir finanziell einbringen würde, ich kann das nicht machen, weil ich mich dabei echt mies fühlen würde. Pseudomedizin „wirkt“ nur dann, wenn die behandelte Krankheit sowieso von selbst ausheilen würde, bringt also nachweisbar nicht mehr als ein beliebiges Placebo. Um gleich auf die vorhersehbaren Kommentare im Sinne von „wir haben damit gute Erfahrungen gemacht“, „wir haben damit schon schöne Erfolge erzielt“, „wer heilt, hat recht“ und so weiter einzugehen: Gute 80 Prozent aller Krankheiten, wegen derer eine Tierarztpraxis aufgesucht wird, sind selbstlimitierend, heilen also früher oder später ohne weiteres Zutun aus. Die Leistung der Tierärztin / des Tierarztes besteht in diesen Fällen darin, dass sie / er das erstens erkennt und zweitens diesen Verlauf allenfalls absichert, indem sie / er den Patienten vor eventuellen Komplikationen beschützt und das Ganze ein wenig anschiebt, ohne den Körper bzw. sein Immunsystem bei seiner Tätigkeit unnötig zu stören.
Das bedeutet aber auch, dass man sich – egal mit welchem wirkungslosen Unsinn – für eine automatische Erfolgsquote von ca. 80 Prozent feiern lassen kann, solange man nicht aktiv schadet, was ja für viele Schwurbel-Therapien wie z.B. Homöopathie, Bach-Blüten, Schüssler-Salze, Handauflegen, Gesundbeten und ähnliches durchaus zutrifft. Deshalb meine – den Stammleser:innen wohlbekannte – gleichgültige Haltung gegenüber Globuli oder Blüten-Tröpfchen. Wenn es jemand glücklich macht oder beruhigt, soll er halt ein paar Zuckerkügelchen geben, ist mir völlig egal. Weder hilft es, noch schadet es, immer vorausgesetzt, dass zuvor eine korrekte medizinische Diagnose gestellt und eine ebenso korrekte Therapie eingeleitet wurde. Letzteres ist aber eine ganz wichtige Voraussetzung.
Wird der Patient, ob nun Mensch oder Tier, durch absurde diagnostische Verfahren wie Bioresonanz, Wünschelrute, Biotensor, Pendeln oder Tierkommunikation zwangsläufig fehldiagnostiziert und damit von einer korrekten medizinischen Diagnose und Therapie ferngehalten, dann ist das definitiv zum Schaden des Patienten und kann – wie wir leider immer wieder sehen müssen – richtig übel ausgehen. Das ist auch der Grund, warum zum Beispiel in Großbritannien immer erst eine Tierärztin oder ein Tierarzt die Freigabe für die Behandlung durch eine Tierheilpraktikerin oder einen Tierheilpraktiker erteilen muss. Hat ein Hund eine Lungenentzündung, bekommt aber beispielsweise mittels Bioresonanz die Diagnose „Chronische Nieren- und Leberschwäche aufgrund einer vor vier Jahren erfolgten Vergiftung mit Chanel No. 5-Dämpfen“ und wird dann noch zur „Ausleitung“ dieser Vergiftung mit Zuckerkügelchen, Chakren-Aktivierung und Einläufen traktiert, so hat er gute Chancen auf einen hässlichen Tod. So ein unglücklicher Ausgang ist aber für die entsprechenden Behandler:innen in der Regel nicht das geringste Problem, denn leider, leider wurde der Patient ja schon vor vielen Jahren durch wahlweise Impfungen, Entwurmungen, Antibiotika oder Royal-Canin-Futter so extrem vergiftet oder vorgeschädigt, dass man jetzt eben bedauerlicherweise nichts mehr machen konnte. Tragisch, tragisch! Im Zweifelsfall war es halt die homöopathische Vollkaskoversicherung „Erstverschlechterung“, die ihn um die Ecke gebracht hat.
Genau so negativ sind die für die Quacksalberei typischen und für Laien so fatal attraktiven Magic-Bullet- oder Schlangenöl-Konzepte, nach denen eine einzige Sache die Ursache allen Übels oder aber die Lösung aller Probleme sein soll. Beispiele gefällig? Impfungen sind an allem schuld, inklusive Krebs, Allergien, Zahnausfall, Epilepsie, Klimawandel, Autismus und Terrorismus! Rohfütterung (Barfen) sorgt für Tiere, die ihre Besitzer regelmäßig bei bester Gesundheit und natürlich mit glänzendem Fell überleben! Kolloidales Silber hilft gegen alles und ersetzt jedes noch so moderne Antibiotikum! Mit CBD-Öl kann man jede denkbare Krankheit heilen! Ach, Sie verstehen schon, was ich meine. Dem schlichten Gemüt tun solche Eine-Kur-für-alles-Modelle gut, wer aber an logisches Denken gewöhnt ist, dem ist sonnenklar, dass es sich in der Realität doch eine Winzigkeit komplexer verhält.
Nun, wie auch immer, wenn Sie bei mir nach solchen pseudomedizinischen Verfahren suchen, dann sind Sie leider an der falschen Adresse. Wo und wann auch immer ein „alternativmedizinisches“ Verfahren die Selbstheilung nicht verhindern konnte, war ich als Tierarzt von vornherein nicht wirklich gefragt. Ich war und bin sehr bemüht, Ihnen nur Vorgehensweisen und Therapien anzubieten, deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegbar ist. Übrigens: Wie nennt man „Alternativmedizin“, deren Wirksamkeit definitiv bewiesen ist? Ganz einfach: Medizin! Die Medizin hat sich schon immer blitzschnell alles unter den Nagel gerissen, was belegbar funktioniert.
Die moderne Medizin ist definitiv eine Wissenschaft. Zu einer Wissenschaft gibt es keine Alternativen. Der Begriff „Alternativmedizin“ ist im Prinzip genau so absurd und dämlich wie „Alternativphysik“ oder „Alternativchemie“. Was außerhalb der medizinischen Wissenschaft steht, was seine Wirksamkeit nie beweisen konnte, ist eben keine Alternative, sondern irgendwas im Dreieck zwischen Pfusch, Quacksalberei und Betrug. Und nein, ich werde nicht „über den Tellerrand“ gucken. Ich starre doch nicht krampfhaft in die winzige und freudlose Müsli-Schale der Pseudomedizin, wenn daneben das prachtvolle Buffet der Wissenschaft aufgebaut ist.
Was die Tiermedizin angeht, werden sich halt die Besitzer eines kranken Tieres ihre Gedanken machen müssen, was sie eigentlich wollen, denn sie tragen ja ihr sauer verdientes Geld in die jeweilige Praxis.
– Wollen sie eine Tierärztin/einen Tierarzt, die/der an ihrem Tier ausschließlich nach den strengen Richtlinien der Evidenzbasiertheit bewiesenermaßen wirksame Methoden zur Anwendung bringt und die/der auch offen sagt: „Nein, dies oder jenes mache ich ganz sicher nicht, auch nicht auf Besitzerwunsch, weil es nachweislich nicht wirkt und es deshalb an Betrug grenzen würde, wenn ich dafür Geld nehmen würde“?
– Oder wollen sie eine Tierärztin/einen Tierarzt, die/der durch welche Entwicklungen auch immer völlig vom klaren Weg der Wissenschaft abgekommen ist, sich wissenschaftliches Denken zugunsten wohlklingender, aber nachweislich unwirksamer Heilverfahren buchstäblich abgewöhnt und sich unrettbar verlaufen hat?
– Oder wollen sie ein tiermedizinisches Mietmaul, das Kund:innen blitzartig einzuschätzen vermag, genau so schnell auf ihre Linie einschwenkt und brav die noch so absurdesten Erwartungen erfüllt, ganz nach dem Motto „Ist mir doch egal, Hauptsache die Kasse stimmt“? Ich kenne – und finde das extrem beschämend – aus berufsinternen Diskussionen über dieses Thema so einige Kolleginnen und Kollegen, die sich intern über die Blödheit der Kunden lustig machen und gleichzeitig den Standpunkt vertreten, dass die Leute schließlich verarscht werden wollen und man ihnen doch für ihr gutes Geld geben solle, was sie unbedingt haben wollen, und sei es wissenschaftlich noch so daneben. Nicht, dass sie am Ende noch zur Tierheilpraktikerin rennen! Schaut man auf die Websites und Facebookseiten dieser Kolleginnen und Kollegen, würde man sie sofort für die größten Fans der Homöopathie, der Bioresonanztherapie oder wer weiß was für Humbug halten. Wenn man aber privat mit ihnen spricht, lachen sie sich über die Leichtgläubigkeit der Tierbesitzer den Buckel krumm und zählen stillvergnügt ihre Euro-Scheine. Zu dieser Gruppe gehören in meinen Augen ausdrücklich auch alle Kolleginnen und Kollegen, die auf eine an sich vernünftige und konsensfähige Therapie schnell noch das eine oder andere homöopathische oder Komplex-Präparat (schönes Beispiel: Heel-Produkte) sozusagen draufpfropfen, so als Pflasterle für die Seelen der Alternativmedizin-Fans unter der Kundschaft und natürlich als eine (völlig unnötige!) Spritze mehr, die in der Masse nun mal auch sehr schöne Auswirkungen auf den Umsatz hat.
Suchen Sie es sich einfach aus, Sie haben die Wahl! Wer unbedingt und mit aller Kraft verarscht oder betrogen werden will, der kann diese „Leistungen“ auf dem aktuellen Markt an jeder Ecke finden. Aber halt auf gar keinen Fall bei mir! Wenn Sie – sozusagen „ergänzend“ zu meiner Therapie – Ihrem Tier Dinge wie Globuli, Salze oder Tröpfchen geben wollen, dann tun Sie das halt. Manche Menschen schaffen es beispielsweise einfach nicht, ihrem Tier nach einer OP kein Arnica D6 einzugeben. Können sie machen, ist mir völlig egal. Wirkt nicht, schadet auch nicht!
Ansonsten, und wenn Sie mit solchen Sachen wie ich rein gar nichts am Hut haben, kann ich Ihnen garantieren: Meine Praxis war und ich bin definitiv schwurbelfrei! Sie werden von mir mit solchem Humbug weder belästigt noch gar dafür zur Kasse gebeten!
Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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