Schwurbelei in der Tiermedizin (Teil 3): Geisterfahrer!

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Wahrscheinlich kennen wir alle diesen alten, aber natürlich auch immer aktuell bleibenden Witz:

„Ein Mann fährt auf der Autobahn, als er im Radio hört: „Achtung, ein Geisterfahrer auf der A7!“ Der Mann schüttelt entgeistert den Kopf und murmelt: „Einer? HUNDERTE!!!“

Viele oder sogar die meisten von uns haben sich schon mal in so eine Situation gebracht, jetzt nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne, indem wir eine Position oder Meinung vertreten haben, mit der wir mehr oder weniger allein dastanden, die also absolut nicht konsensfähig war. Das finde ich per se nicht schlimm, sondern durchaus wünschenswert. Viele wichtige Erfindungen, Entdeckungen und Paradigmenwechsel beruhen ja genau darauf, dass da eine Person gedanklich völlig gegen den Strom geschwommen ist.

Das gilt natürlich auch für die (Tier-)Medizin. Aber: In der Medizin geht es um das Leben und die Gesundheit von Patienten. Dementsprechend muss es in diesem Beruf immer einen Mainstream, einen Konsens, einen „state of the art“ geben, denn die Patienten haben ein Recht darauf, dass bestimmte Krankheiten auf eine bestimmte und nachweislich funktionierende Art und Weise diagnostiziert und therapiert werden und nicht an jeder Ecke anders.

In einer seriösen und wissenschaftsbasierten Medizin verdient man sich Erfolg, Ansehen, vielleicht gar Ruhm und Ehren dadurch, dass man unter Beachtung des zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen Stands der Wissenschaft möglichst gut und sorgfältig arbeitet. Stößt man im Rahmen seiner Tätigkeit oder durch Forschung auf etwas, das geeignet scheint, den State of the Art zu verändern, oder gar auf etwas, das allem widerspricht, was bisher gültig war, so veröffentlicht man diese Entdeckung, diese Idee, diese Methode, und gibt damit der weltweiten medizinischen Community, der sogenannten Peer Group, die Gelegenheit, diesen neuen Ansatz zu überprüfen, nachzuvollziehen und natürlich auch zu kritisieren. Stellt sich bei diesem mit den heutigen Mitteln oft relativ zügig durchführbaren Reality Check heraus, dass die Innovation tragfähig und nützlich ist, wird sie sich schnell verbreiten und durchsetzen.

Nun gibt es aber (leider!) immer mal wieder Kolleginnen und Kollegen (manche von uns verwenden ersatzweise auch den Begriff „Kollegoiden“), die sich aufgrund welcher persönlichen Defizite auch immer dazu entschließen, ihre ganze Karriere darauf aufzubauen, sich fachlich auf eine absurde Position zu begeben und den Mainstream, also ihren eigenen Berufsstand, als wahlweise blöd, ignorant oder gar betrügerisch zu verunglimpfen, unter gleichzeitiger Darstellung der eigenen Person als Inhaber der einzigen Wahrheit, als „Krönung der Salate“. Sie werden also zu medizinischen Geisterfahrern, zu einer Verkörperung des obigen Witzes. Die verwendeten Kommunikationsmittel – Fake News und „flooding the zone with shit“ – erinnern fatal an die aktuellen Methoden des Trumpismus. Die betreffenden Tierärztinnen und Tierärzte bedienen mit dieser Vorgehensweise ein ganz bestimmtes und für Verschwörungstheorien anfälliges Nischenpublikum, das den Mainstream-Kolleginnen und -Kollegen sowieso die Haare zu Berge stehen lässt, aus dem sich aber ein sehr schönes Einkommen generieren lässt.

Es ist wohl kein Zufall, dass ich über die Jahre sehr häufig nach meiner Meinung zu drei Namen gefragt worden bin:

Dr. Jutta Ziegler (Hallein, Österreich), Dr. Franz Spitzer (Larnaka, Zypern) und Dirk Schrader (Hamburg).

Viele Leute, die noch zu rationalem Denken in der Lage sind, merken wohl doch, dass ein Tier, das quakt wie eine Ente und das watschelt wie eine Ente, höchstwahrscheinlich eine Ente ist. Diese drei Personen sind (nicht nur) meiner Meinung nach tatsächlich die momentan bekanntesten tiermedizinischen Geisterfahrer. Wem diese drei Namen absolut nichts sagen, sollte es am besten einfach dabei belassen. Ich kann versichern: Im Sinne einer rationalen und wissenschaftlichen Tiermedizin versäumt man dadurch rein gar nichts.

Alle drei haben ihre feste Fangemeinde. Das ist völlig okay. Keine Praxisinhaberin / kein Praxisinhaber muss heutzutage futterneidisch sein. Es gibt mehr als genug Arbeit für alle. Mein Artikel richtet sich ausdrücklich nicht an diesen Personenkreis, weil ich diesen sowieso nicht erreichen kann. Wenn mich jemand zwischen Tür und Angel nach meiner Meinung zu wahlweise Ziegler, Spitzer oder Schrader fragt, sage ich immer: „Wer nicht selber merkt, wie er da verkohlt wird, braucht nach meiner Einschätzung wahrscheinlich auch ein Navi, um nachts in der eigenen Wohnung aufs Klo zu finden.“

Mit diesem Text richte ich mich an Menschen, die in meinen Augen völlig berechtigte Zweifel haben, wenn sie wahrnehmen, dass da jemand ausschließlich von der Botschaft lebt: „Alle anderen Tierärztinnen und Tierärzte sind dämlich, ahnungslos, denkfaul und mit der Pharma- und Futtermittelindustrie verschwörerisch verbandelt, nur ICH nicht, denn ICH weiß etwas, was sonst NIEMAND weiß, und mein zweiter Vorname ist ROBIN HOOD!“. Diese Zweifelnden kann ich nur bestärken: Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl! Wenn es in der Medizin jemand wirklich nötig hat, seine berufliche Karriere fast ausschließlich darauf aufzubauen, sich dauerhaft und für viele Jahre oder gar Jahrzehnte außerhalb des Mainstreams zu positionieren und alle anderen als unfähige Stümper ohne Durchblick zu bezeichnen, dann muss zwangsläufig etwas faul sein, denn würden die genannten Personen Konzepte vertreten, an denen tatsächlich was dran ist, wären sie schon lange Teil des aktuellen Standes der Wissenschaft.

Bei Diskussionen mit der Schwurbelszene kommt an dieser Stelle fast zwangsläufig der Verweis auf den österreichisch-ungarischen Chirurgen und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis (1818 – 1865), dessen evidenzbasierte (!) Erkenntnisse zur Prophylaxe von Kindbettfieber durch verbesserte Hygiene sich innerhalb seines kurzen Lebens leider nicht durchgesetzt haben, weil sie mit einer Mischung aus Verbohrtheit und Antisemitismus (Semmelweis war kein Jude, was aber unterstellt wurde) vom medizinischen Establishment der damaligen Zeit unterdrückt wurden, wodurch im weiteren Verlauf noch Zehntausende von Frauen sterben mussten, bis sich endlich was geändert hat. Darauf kann man nur antworten, dass wir nun mal nicht mehr im 19. Jahrhundert leben und sich valide Erkenntnisse durch die heutzutage normale Vernetzung der Welt im Vergleich zu früheren Zeiten verblüffend schnell durchsetzen.

Für einen Vielschreiber wie mich wäre es jetzt natürlich verlockend, sich lang und breit mit den diversen Einlassungen und Heilsversprechen der genannten Personen auseinanderzusetzen, aber das würde den Rahmen eines Blogartikels definitiv sprengen. Lassen wir es damit bewenden, dass buchstäblich jede seriöse Tierärztin und jeder seriöse Tierarzt im deutschsprachigen Raum mit den Augen rollt, wenn einer der drei Namen genannt wird. Auch für Tierhalterinnen und Tierhalter sollten die  Monetarisierungsmethoden speziell von Ziegler und Spitzer eigentlich ganz gut zu durchschauen sein, zeigen sie doch zwangsläufig Merkmale, die als typisch für Quacksalberei und Kurpfuscherei gelten: Die Behauptung exklusiven Wissens, die permanente Diffamierung des seriösen Mainstreams, die für solche Leute natürlich fast schon verpflichtende Ablehnung von Impfungen, die angeblich umfassende Wirkung des eigenen Denkkonstrukts gegen alle möglichen Erkrankungen, die Schuldzuweisung an die Patientenbesitzer:innen, wenn sie nicht folgen wollen, und an die gesamte Kollegenschaft, die natürlich in einer weltumspannenden Verschwörung jedem Haustier buchstäblich nach dem Leben trachtet.

Dazu kommen noch ungenierte und durch nichts belegbare Fake-News, besonders schön zu sehen auf der Website von Spitzer, wo sich unter dem Menüpunkt „Presse“ Links zur Frankfurter Rundschau („Dr. Franz Spitzer: Wie er die moderne Tiermedizin revolutioniert“), zum Focus („Wie Tierarzt Dr. Spitzer Hundehaltern den Weg zum gesunden Hund ermöglicht“) und zur Süddeutschen Zeitung („Tierarzt Dr. Franz Spitzer überzeugt mit neuem Ansatz in der Tiermedizin“) finden. Der Link zum Focus geht ins Leere, aber in der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen findet man lobhudelnde Texte, von denen arglose Leser:innen durchaus beeindruckt werden könnten, aber nur so lange, bis sie darauf aufmerksam werden, dass beide „Artikel“ oben ganz diskret als Anzeige gekennzeichnet sind. Spitzer versucht also tatsächlich, bezahlte Anzeigen als Presseberichte über ihn und sein „Konzept“ zu verkaufen, was halt nach allen Maßstäben einfach szenetypisch dreist ist.

Die Masche von Ziegler und Spitzer sehe ich persönlich noch relativ gelassen, da von ihnen in den meisten Fällen keine echten Gefahren für die Tiere ausgehen sollten, die allenfalls durch das Fernhalten von anerkannten Therapie- und Prophylaxeverfahren geschädigt werden könnten. Außerdem halten sich beide aus dem Wirkungsbereich deutscher Berufsordnungen heraus. Bei Schrader bin ich leider nicht so entspannt, weil der Mann nach wie vor praktiziert, und zwar unter der Aufsicht der dafür eigentlich zuständigen Landestierärztekammer Hamburg, die sich aber in der Vergangenheit als absolut unfähig erwiesen hat, die offensichtlichen berufsrechtlichen Verfehlungen des Mannes korrekt zu ahnden.

Auch hier würde es den Rahmen des Artikels sprengen, wenn ich ins Detail gehen wollte, deshalb ein Link zu einem Artikel von MedWatch, der einen schnellen Einblick in die Gemengelage bietet:

https://medwatch.de/alternativmedizin/umstrittener-tierarzt-wirbt-fuer-gefaehrliches-wundermittel-chlordioxid/

Natürlich werden Schrader-Fan-Girls und -Boys gleich wieder Schaum vor dem Mund bekommen, wenn sie das lesen, aber: Eine ganz normale praktizierende Tierärztin / ein ganz normaler praktizierender Tierarzt wird in Deutschland im Schnitt während eines ganzen Berufslebens genau nie bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Im Fall von Schrader aber scheinen laut des MedWatch-Artikels so viele Anzeigen vorgelegen zu haben oder noch vorzuliegen, dass sie gebündelt behandelt werden mussten oder müssen. Das würde mir dann doch schwer zu denken geben!

Nehmen wir uns abschließend als schönes Beispiel für Schraders Propagandamethoden mal diesen Text zum Megakolon (krankhafte Erweiterung des Dickdarms) bei der Katze vor:

https://kritische-tiermedizin.de/2025/Der_Niedergang.pdf?fbclid=IwY2xjawNJ_gVleHRuA2FlbQIxMABicmlkETBpUFRyaGhFMmo1TmczN0xwAR7E3AGLqoO0zF1vNHd6laqzA_yoo3KdXouQhxlIIETdZcaD1ShGfYFb5O9_Tg_aem_XoGpuCB_arvr7dYzbxMU4A

Der Faktencheck:

Die namentlich genannte Besitzerin einer Katze mit Megakolon lebt in Düsseldorf und war offenbar nicht in der Lage, unter den unzähligen tiermedizinischen Einrichtungen der Metropolregion Rhein-Ruhr eine zu finden, die ein Megakolon chirurgisch therapieren konnte oder wollte. Deshalb war sie angeblich gezwungen, bis nach Hamburg zu pilgern.

Fakt ist, dass es mich keine halbe Stunde und gerade mal eine Handvoll schnelle Anrufe gekostet hat, um mehrere Praxen / Kliniken in gut erreichbarer Entfernung zu Düsseldorf zu ermitteln, die sehr wohl in der Lage sind, eine subtotale Kolektomie (das ist der Fachbegriff für die OP, um die es geht) durchzuführen. Es ist also in der realen Welt nicht wirklich nachvollziehbar, was die Tierbesitzerin genau für ein Problem hatte.

Schrader erweckt gezielt den Eindruck, dass eine chirurgische Behandlung des Megakolons bei der Katze hier in Deutschland (und im Gegensatz zu England) völlig unüblich wäre und aufgrund eines Mangels an Interesse und Fortbildung von niemandem (außer ihm natürlich) beherrscht und angewendet würde. Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich über diese Aussage! Wenn ich nur für mich sprechen soll, so habe ich durchaus mal gelernt und danach immer gewusst, wie man ein Megakolon chirurgisch angeht. Selbst in meiner nur mittelgroßen Provinzstadtpraxis war ich zur Durchführung dieses Eingriffs in der Lage. Aber auch wenn wir meine persönliche Sicht beiseite lassen, ist es doch erstaunlich, dass man mit den Suchbegriffen „Megakolon Katze“ bei Google sofort im ersten Link über eine sehr schöne Veröffentlichung der Kollegin Simona Vincenti in der angesehenen und viel gelesenen Fachzeitschrift „kleintier konkret“ stolpert, in der selbstredend auch die subtotale Kolektomie als chirurgische Therapieoption angeführt und näher erläutert wird.

https://vet.thieme.de/hund-katze-co/spezialthemen/detail/katze-diagnose-und-behandlung-vom-megakolon-1839

Das geht halt mit der Behauptung, dass dieser Eingriff in Deutschland gar nicht bekannt wäre, so gar nicht zusammen. Und auch die Unterstellung, dass der Eingriff weit verbreitet nicht beherrscht würde – als Abhilfe empfiehlt der „Kollege“ ja in maximaler Herablassung, sich das von ihm in Hamburg beibringen zu lassen – ist extrem gewagt. Ich behaupte, dass alle Bauchchirurg:innen, die wissen, wie man eine Darmanastomose anlegt, auch eine subtotale Kolektomie durchführen können. Der Eingriff gehört zwar durchaus zur großen, abdominalen Chirurgie, ist aber in diesem Rahmen kein Zauberwerk.

Schrader mokiert sich spöttisch – und natürlich Abzockerei unterstellend – darüber, dass bei dieser Katze weitergehende Diagnostik durchgeführt wurde, also ein Bauch-Ultraschall und Schichtbildtechniken (CT und MRT), brüstet sich damit, für die Diagnose selber nur ein Röntgenbild benötigt zu haben, und führt aus, dass selbst die Betrachtung des vorliegenden CTs zu viel der Mühe gewesen wäre, da man ja schon gewusst habe, was dem Tier fehlt. Um die fachliche Dreistigkeit dieser Einlassungen zu erkennen, braucht es nur einen kurzen Blick in die verlinkte Veröffentlichung von Kollegin Vincenti (und in fast jeden englischsprachigen Artikel zu diesem Thema!), wo sehr deutlich und gut nachvollziehbar erläutert wird, warum solche fortgeschrittenen diagnostischen Maßnahmen in vielen Fällen absolut sinnvoll und notwendig sind. Angesichts der vielfältigen möglichen Ursachen eines Megakolons sollte man schon ganz genau wissen, was Sache ist, bevor man die Katze einem so schweren Eingriff unterzieht. Nur als Beispiel: Es wäre eine ausgemachte Schweinerei, einer Katze fast den gesamten Dickdarm rauszuoperieren, wenn die eigentliche Ursache des Megakolons ein Tumor in der Wirbelsäule oder im Rückenmark wäre.

Soweit dazu, das muss jetzt reichen. Fazit: Wie schon erwähnt, versuche ich erst gar nicht, echte Ziegler-, Spitzer- oder Schrader-Fans von ihren Illusionen abzubringen. Das macht so oder so keinen Sinn! Werde ich aber in Zukunft wieder nach einem dieser Namen gefragt, kann ich ab jetzt einfach mit dem Link zu diesem Artikel antworten. Die wichtigste Botschaft für alle, die sich noch auf dem Boden der Tatsachen befinden: Wer sich sein ganzes Berufsleben lang außerhalb des medizinischen Konsenses, außerhalb des aktuellen Stands der Wissenschaft positioniert, hat seine Gründe dafür, und das sind in der Regel keine guten!

Bleiben Sie so rational wie möglich und außerdem mir gewogen, Ihr

Ralph Rückert

 

© Ralph Rückert

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