Tiermedizinische Ethik und Kollegialität: Zu viel verlangt von Start-Ups wie Rex?

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Obwohl viele Tierbesitzer:innen unter den in den letzten Jahren deutlich gestiegenen tiermedizinischen Behandlungsgebühren stöhnen und das Gefühl haben, dass diesbezüglich inzwischen das Ende der Fahnenstange erreicht sein müsste, sehen das die Fachleute von Venture-Capital-Firmen ganz anders. Nach rentablen Anlagemöglichkeiten suchendes Kapital wird nach wie vor in unsere Branche gepumpt, ganz klar in der Hoffnung, dass da noch jede Menge weiteres Potenzial für Wachstum vorhanden ist.

Im Gegensatz zu den inzwischen auch in Tierhalter-Kreisen bekannten Namen wie Anicura, Evidensia, Tierarzt Plus GmbH und noch einigen anderen, die in der Regel bestehende Praxen und Kliniken aufkaufen, setzen neue Start-Ups wie Rex und Filu auf Praxisneugründungen in rentablen Großstadtlagen. Neugründungen sind in diesen Zeiten mit hoher Nachfrage nach tierärztlichen Leistungen und einer insgesamt schrumpfenden Zahl an tiermedizinischen Einrichtungen eigentlich durchaus begrüßenswert, aber auch Rex und Filu werden inzwischen wohl den eigentlichen Knackpunkt erkannt haben, und das ist der akute Fachkräftemangel. Egal, was man für wohlklingende Konzepte umsetzen will, am Ende bleibt es halt Fakt, dass man dafür genug Personal, also Tierärzt:innen und Tiermedizinische Fachangestellte, braucht.

Die diesbezügliche Not von Rex scheint schon ziemlich groß zu sein. Den Anlass für meinen Artikel sieht man auf dem Foto. Solche Aufsteller, die ja eindeutig auf direkte Abwerbung zielen, mit dem Kernversprechen, bei Rex keinen Notdienst mehr versehen zu müssen, hat die Firma in direkter Nähe der Anicura-Kliniken Plieningen und Ludwigsburg positioniert. Man muss dazu wissen, dass diese beiden Kliniken es nach wie vor schaffen, einen 24-Stunden-Notdienst aufrecht zu erhalten, und damit eine extrem wichtige Säule der Notfallversorgung für die gesamte Metropolregion Stuttgart darstellen.

Die Fähigkeit einer Großklinik, 24/7 für Notfälle offen zu sein, kann unter den aktuellen arbeitsrechtlichen Vorgaben manchmal an ein, zwei Tierärzt:innen mehr oder weniger hängen. Hätte Rex mit seinem Vorgehen Erfolg, könnte das durchaus bedeuten, dass eine oder gar beide Einrichtungen plötzlich nicht mehr in der Lage wären, diesen so wichtigen Dienst anzubieten, und das wäre eine wirklich schlimme Entwicklung für sehr, sehr viele Haustiere im Einzugsgebiet der Kliniken.

Würde so eine Aktion von einer inhabergeführten Praxis oder Klinik durchgezogen, hätte die Landestierärztekammer die Möglichkeit und die Pflicht, den Verantwortlichen so richtig ordentlich auf die Zehen zu treten. Bei Ketten wie Rex, die von Nichttierärzten geführt werden (der CEO von Rex ist meines Wissens ein ehemaliger Angestellter der Unternehmensberatung McKinsey), hat die Kammer leider keine derartige Zugriffsmöglichkeit.

Das ist diesen Leuten natürlich bewusst. Trotzdem: In meinen Augen zeigen solche Firmen und die Personen, die sie führen, genau das Verhalten, das ich immer gefürchtet habe. Tiermedizinische Ethik und ein Mindestmaß an kollegialem Anstand, die hier zu dem Gedanken hätten führen müssen, dass man für die Notfallversorgung Deutschlands fünftgrößter Metropolregion extrem wichtige Einrichtungen im Interesse unzähliger Haustiere und ihrer Besitzer:innen nicht auf diese Art und Weise angehen kann, sind bei einem ehemaligen Unternehmensberater scheinbar nicht mal ansatzweise vorhanden. Es geht – trotz der üblichen vollmundigen Beteuerungen auf der Homepage des Unternehmens – nicht um das Wohl der Tiere, sondern einzig und allein darum, dass man genug Leute für die eigene (geplante) Praxis zusammen bekommt. Ob dann deswegen ein oder zwei Großkliniken mit sehr hässlichen Auswirkungen für die Haustiere der Region ihren Nacht- und Wochenenddienst einstellen müssen – scheißegal! Ob man mit einem solchen Verhalten die sowieso schon katastrophale Notdienstkrise weiter verschärft – scheißegal! Hauptsache, der eigene Laden läuft und die Kette wirft für ihre berufsfremden Gründer, die von Tiermedizin und Berufsethik so viel Ahnung haben wie mein Hund von Kernphysik, den erwarteten Profit ab! An die Abwerbebemühungen diverser Personalvermittlungsfirmen hat man sich in der Branche inzwischen gewöhnen müssen, aber so ein dreistes Vorgehen wie in diesem Fall hat schon eine ganz neue Qualität. Es stellt sich die Frage, ob man sich auch als Tierbesitzer:in Sorgen machen muss über so ein Verhalten einer Praxiskette. Meiner Meinung nach durchaus, weil dadurch ja eine Art von „Firmenkultur“ zum Ausdruck kommt, die man auch als Kundin oder Kunde nicht unbedingt haben will.

Der Einzugsbereich der Anicura Plieningen reicht bis hierher nach Ulm. Ich habe aus meiner Praxis heraus mehr als einmal dorthin überwiesen. Auch als privater Tierbesitzer könnte es mir durchaus mal passieren, dass ich bei einem schweren Notfall mit einem meiner Tiere auf Plieningen angewiesen wäre. Unter diesem Gesichtspunkt fühle ich mich von diesem völlig hemmungslosen Egotrip von Rex nicht nur als Tierarzt, sondern auch als Privatmann ziemlich angefressen. Würde ich direkt in der Stuttgarter Gegend leben, wäre diese Verärgerung natürlich um so stärker.

Überdies ist das „Versprechen“ von Rex, dass man als Angestellte(r) der Firma keinen Notdienst versehen müsste, angesichts der Änderungen, die die Landestierärztekammern in ihren Notdienstordnungen durchgeführt haben oder gerade durchführen, in meinen Augen sowieso unseriös und mittelfristig unhaltbar. Diese Neuformulierungen stellen klar (oder werden klarstellen), dass ALLE Tierärztinnen und Tierärzte, die in der ambulanten Versorgung von Tieren tätig sind, am Notdienst teilzunehmen haben, völlig egal, wer die Einrichtung, in der sie arbeiten, unternehmerisch kontrolliert. Über kurz oder lang werden also auch Rex-Angestellte Notdienst leisten müssen, und das ist gut so!

Bleiben Sie mir gewogen, Ihr

Ralph Rückert

© Ralph Rückert

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